3 Orte – 3 Schicksale – 3 Chancen? Missio for life

3 Orte – 3 Schicksale – 3 Chancen? Missio for life am Gymnasium Marianum Buxheim

Gendergerechtigkeit geht anders!

missioforlife2013 01Wieder so ein Anglizismus“, dachte ich mir, als ich meine elfte Klasse zum Mehrzweckraum des ehemaligen Internats am Marianum Buxheim begleitete und einen bunt gestalteten Kleintransporter mit dieser Beschriftung auf dem Schulhof unseres Gymnasiums sah. Bei „Missio for life“ geht es um ein „transmediales Lernerlebnis über weltweite Gendergerechtigkeit“. Doch ich will ganz ehrlich sein: Was „transmedial“ und „Gendergerechtigkeit bedeuten soll war mir genauso wenig klar wie den Schülern.

„Wow, das hat da I-Pads“, war einer der ersten Kommentare aus dem Mund eines Schülers, der zuerst die Geräte erspäht hatte, als wir den Raum betraten. Mir stachen gleich drei große Aufsteller in die Augen, die mit den Eigennamen Paolo, Renu und Mercedes bezeichnet waren.

Zum genaueren Hinsehen blieb keine Zeit, Frau Eber, die die Ausstellung und das transmediale Lernerlebnis für die Schüler des Marianums aufgebaut hatte, begrüßte uns und erklärte sogleich, um was es geht.

Gendergerechtigkeit meint die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Bereichen. Tatsächlich leben in vielen Ländern Männer und Frauen in sehr unterschiedlichen Lebenswelten, die für die Frauen oft bedeuten, in Strukturen festzusitzen, in denen sie ausgebeutet und von anderen dominiert werden.

Paolo, ein Junge auf den Philippinen, Renu, eine Inderin und Mercedes, eine junge Frau in Indien zeigen in einem interaktiven Lernparcours auf, wie diese Strukturen funktionieren und was sie für die Betroffenen bedeuten. Frau Eber, die pädagogische Fachkraft, die die Schülerinnen und Schüler durch diesen Parcours führt, betont nachdrücklich: „Paolos, Renus und Mercedes Geschichten sind nicht erfunden, sondern es sind Ereignisse aus dem Leben dieser Menschen, die sich wirklich zugetragen haben, nur die Namen haben wir geändert“.

missioforlife2013 04Während Frau Ebert erklärt, wie die Ausstellung funktioniert und wozu die I-Pads verwendet werden, werfe ich immer wieder Blicke auf die Ausstellungsobjekte. Manches ist noch durchaus rätselhaft, wie zum Beispiel dieser seltsame Kasten mit Löchern, die so aussehen, als ob man da hineingreifen könne. Die große Plakatwand, die Paolo gewidmet ist, zeigt Bilder von Menschen, die auf Müllkippen nach Verwertbarem suchen. Überall fallen mir solche QR-Codes auf, also jene quadratischen Muster, die von der Handy- oder I-Pad-Kamera eingelesen werden können. Wozu ist das alles gut?

Mittlerweile hat sich die Klasse in Kleingruppen zu zwei oder drei Schülern aufgeteilt und jede Gruppe bekam ein I-Pad. „Geil“, kommentierte ein Jugendlicher aus meiner Klasse sogleich, „darf ich den behalten?“ Natürlich durfte er nicht, aber nachdem er sich mit dem Gerät über einen dieser QR-Codes eingeloggt hatte, ging es auch schon los: Die I-Pads führten jede Gruppe zu verschiedenen Stationen. Mit animierten Trickfilmen wurden die Erlebnisse Paolos, Renus und Mercedes’ nacherzählt. Immer wieder stellte das I-Pad den Schülern Aufgaben.

Paolo musste in einer fest vorgegebenen Zeit so viel Wertvolles aus dem Müllberg herausfischen, wie er nur konnte. Dies jetzt die Aufgabe der Schüler. Während gnadenlos auf dem Display des I-Pads die Zeit unter den Händen zerrann, langte Barbara* in diesen seltsamen Kasten mit den Löchern, um wertvolle Dinge, die recycelt werden können, zu ertasten. Ganz realistisch waren die Sachen in einem Haufen von Plastikfolienstücken vergraben. „Ich hab was“, meint Barbara, fühlt sich irgendwie metallisch an“. „Das kann nur das Stück von einem Kupferrohr sein, das da abgebildet ist,“ erklärt Bernhard. Ich scanne das mal ein“. Neben dem Bild eines solchen Kupferrohres war ein entsprechendes Code-Feld. Bernhard* hielt die Kamera des I-Pads davor, und sofort erfuhr er, dass das etwas Wertvolles war. „Ich seh’ da eine tote Ratte auf dem Bild“, sprach Bernhard. Mit einem entsetzten Schrei zog Barbara ihre Hand aus dem Müllhaufensimulator. Im Tonfall einer unerschütterlichen Entscheidung legte sie fest: „Ich greif’ da nicht mehr rein!“ „Dann lass’ mich mal“, sprach Bernhard und drückte Barbara das I-Pad in die Hand. Schon steckte der junge Mann mutig seine linke Hand durch das Greifloch und grabbelte im vermeintlichen Müllhaufen herum. „Ist nicht wahr“, stellte er nach kurzem Tasten fest, „ich hab’ ‚ne Handgranate!“ „Echt?“, fragte zweifelt Barbara. Doch dann meldete sich das I-Pod: Die Zeit war abgelaufen und sofort wurde errechnet, welchen Wert das Kupferrohr hatte: Der Gegenwert von 12 Eurocent wurde angezeigt. Davon musste Paolo die Lebensmittel für einen ganzen Tag bezahlen. „So was Ungerechtes“ ärgert Barbara sich, davon kann man nicht leben!“ Und Recht hatte Sie. Auf der nächsten Station erfuhren die beiden, wie Paolo doch noch an Essbares kommen konnte: durch Klauen!

Doch das ging nicht gut. Paolo wurde, obwohl minderjährig, beim Lebensmitteldiebstahl erwischt und in ein absolut überfülltes Gefängnis gesperrt. Gerade noch rechtzeitig, eine Vergewaltigung durch erwachsene Mitgefangene schien sich anzubahnen, wurde Paolo aus dem Gefängnis befreit, und zwar von einer Person, die für arbeitete.

Mittlerweile hatte ich verstanden, wie dieser interaktive Lernparcours funktionierte: Die Aufgaben und die damit verbundenen Geschichten waren so lebensecht gestaltet, dass die Jugendlichen unweigerlich in die Geschichte hineingezogen wurden und die Ungerechtigkeit und Härte der Lebensgeschichten hautnah miterlebten.

Besonders beeindruckend war das Schicksal von Renu: Die junge indische Frau wurde in eine arrangierte Ehe gesteckt. Allein die Zusammenstellung der Mitgift gestaltete sich ausnehmend schwierig. „Mann, sind die gierig“, kommentierte Fred* auch ein Schüler der Klasse, die Erwartungen der Familie von Renus Bräutigam. In Indien muss die Frau zum Teil beträchtliche Vermögenswerte in die Familie des Ehemannes mit einbringen, sonst wird es nichts mit der Hochzeit. Aber unverheiratet bleiben geht auch nicht. Schon jetzt merkten die Schüler: Gendergerechtigkeit geht anders. Und es sollte noch wesentlich heftiger werden.

missioforlife2013 06In einer Station mussten die Schüler anstelle Renus in möglichst kurzer Zeit ein Lamm-Curry-Gericht kochen. In einer liebevoll detailgenau nachgebauten indischen Küche mussten die Zutaten in der richtigen Reihenfolge eingescannt werden. Alfreds Partnerin Sabine erwies sich als außerordentlich geschickt. Beide waren sich sicher: Die Aufgabe schaffen sie und dann hat Renu ihrer Schwiegermutter gezeigt, dass sie doch noch als Ehefrau etwas taugt.

Als das I-Pad signalisierte, dass das Lamm-Curry fertig ist und alles richtig gemacht wurde, läuft ein kleiner Film ab: Die Küchentür wird geöffnet, Renus Schwiegermutter erschien. Sie schleuderte einen angezündeten Molotow-Cocktail in die Küche. Sofort schlugen die Flammen um Renu. Ihre Schwiegermutter zog die Küchentür zu und verriegelte sie von außen.

Mitgiftmord! „Burning brides“, „brennende Bräute“ wird in Indien diese Art von feuriger Küche genannt.

Alfred und Sabine waren völlig erschrocken. „Wieso macht die das?“, fragte Sabine, „Renu hat doch alles richtig gemacht!“. Bei der Nachbesprechung war es Lorenz, der das zynische Bräutebrennen auf den Punkt brachte: „Wenn die Familie des Ehemanns so drei, vier Bräute abfackelt, ist die Familie saniert.“ Frauen werden als Vermögensbeschafferinnen ausgebeutet und dann „thermisch entsorgt“. Gendergerechtigkeit geht anders.

Alfred und Sabine erfuhren, dass Renu noch Glück gehabt hatte: Sie kam ins Krankenhaus und überlebte. Zwar war sie durch die Verbrennungsnarben für das Leben gezeichnet und auf dem Heiratsmarkt nicht mehr vermittelbar, aber eine Hilfsorganisation, unterstützt von Missio, nahm sich ihrer an.

Ein ähnlichen Schreckeffekt erfuhren die Jugendlichen, die dem Schicksal Mercedes folgten: In ihrer (Groß-)Familie als Mädchen zur Unterwürfigkeit und Verantwortung für den Haushalt und die Geschwister erzogen, darf sie nicht zur Schule gehen, sondern wurde ständig von ihrem trinkendem und gewalttätigem Vater schikaniert. Der Ausbruchversuch aus diesen Kalamitäten brachten das Mädchen in noch schlimmere Lebenszusammenhänge: Unter falschen Versprechungen wurde sie in ein Bordell gelockt und sexuell ausgebeutet. Besonders ergriffen waren die Jugendlichen davon, wie Mercedes Fluchtversuch aus dem Bordell endete: Sie suchte Schutz bei der Polizei und landete wieder bei ihrem Zuhälter. Der Polizist war bestochen worden, und anstatt die junge Frau zu befreien, ließ er sich die Rückgabe der Frau in das Bordell gut bezahlen. Jetzt merkten die Jugendlichen: Das sind Strukturen, aus denen es kein entkommen gibt. Gendergerechtigkeit geht anders.

missioforlife2013 09Frau Eber, die schon aus Erfahrung wusste, wie die Ausstellung funktioniert, lud am Ende des 90-minütigen Parcours die Schüler zur Nachbesprechung ein. Dadurch, dass die Schüler durch die I-Pads interaktiv in den Lernprozess regelrecht eingewickelt werden, hatte sich keiner von ihnen der Lernerfahrung entzogen. Betroffenheit herrschte vor. „Ich wusste zwar, dass in Indien die Frauen ausgebeutet werden, aber dass es so schlimm ist“, sagte Sabine „habe ich nicht gewusst“. Der interaktive Lernparcour hatte seine Wirkung getan. „Mir hat gefallen“, schrieb ein Schüler als Rückmeldung auf, „dass man sehr viel selbst agieren und mitdenken muss. Dadurch bekommt man die Geschichten noch näher gebracht. Die Ausstellung nimmt einen mit und ist sehr interessant gestaltet.“

Eine Schülerin fasste ihren Eindruck so zusammen: „Die Ausstellung als eine Art Spiel zu gestalten, ist eine gute Idee. Das Interesse der Schüler zu wecken, ihnen zu ermöglichen, sich in die Situation hineinzufühlen und einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, hat mir sehr gefallen“.

Mir übrigens auch. Wie die Schüler bereitwillig sich sofort auf die Medien und die durch sie vermittelten Geschichten einließen, hat mich sehr beeindruckt. Ich kann es nur sehr empfehlen, sich diese Ausstellung an die Schule zu holen.

Andreas Rakos

* Namen der Schüler wurden geändert

 

Videos zum Projekt und seiner Entstehung

auf www.missioforlife.de

 

Bilder aus dem Einsatz am Gymnasium Marianum Buxheim 2013:

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